Zur Prävention sexualisierter Gewalt - die ForuM-Studie

Mon, 22 Apr 2024 07:55:13 +0000 von Andreas Heincke

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Superintendent Christian Cordes
Liebe Leserinnen und Leser,
Ende Januar wurde die Studie „Forschung und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland“ veröffentlicht. 
Die Ergebnisse fordern uns alle heraus, sie sind beschämend. Wir blicken zurück und müssen bekennen, dass das Selbstbild, das wir von unserer Kirche hatten, erschüttert ist. 
Nicht nur in der röm.-kath. Kirche, nicht nur in Heimen der Diakonie ist es zu sexuellen Übergriffen an Schutzbefohlenen gekommen. Auch im Raum der evangelischen Kirchengemeinden, im Rahmen von Seelsorge, Freizeiten, Konfirmanden- und Jugendarbeit wurden Menschen von Pastoren und Diakonen (bisher sind alle Täter, von denen man weiß, männlich) missbraucht und lebenslang geschädigt. Vorwürfe von Betroffenen wurden meist nicht konsequent verfolgt, vielmehr eher bagatellisiert. Vor allem hat man sich nicht adäquat um Betroffene gekümmert. 
Gründe dafür liegen auch in der Kultur, die wir pflegen, an Machtgefälle und Personenkult, einer missverstandenen Vergebungsbereitschaft, die versäumt, dass zur Rechtfertigungslehre auch gehört, dass Schuld benannt und nicht bagatellisiert wird. Die Studie benennt da deutlich Punkte, wo kirchliche Akteurinnen und Akteure in ihrem Handeln versagt haben und wo Strukturen und Kultur verantwortlich sind für Nachlässigkeit in der Vorbeugung, der Aufdeckung und Bestrafung sexualisierter Gewalt
Schauen wir nach vorn, dass wir viel von den Betroffenen lernen müssen: Was hätten sie von ihrer Kirche gebraucht? Wie können wir ihnen zu angemessener Entschädigung und Heilung helfen? Was lernen wir aus ihren Erfahrungen für Prävention und Aufarbeitung.
Ich persönlich finde richtig, dass wir eine staatliche Stelle benötigen, die die Rechte der Betroffenen sexualisierter Gewalt durchsetzt. Es ist eine Zumutung, dass diejenigen, deren Leben von Menschen im Raum und unter dem Schutz der Kirche schwer geschädigt wurde, sich an ebendiese Kirche wenden müssen, um anerkannt und entschädigt zu werden. 
Wichtig ist für unseren Kirchenkreis und unsere Kirchengemeinden, dass wir ernst machen mit dem Erstellen von Schutzkonzepten, Schulungen und der kompetenten Auseinandersetzung mit diesem wichtigen Thema. Wir sind seit einigen Jahren aktiv dabei, spüren aber auch Widerstände: „Bei uns doch nicht!“ „Wo bleibt denn da das Vertrauen?“ wird uns entgegengehalten. Doch schnell sind wir selbst betroffen, wenn es zu Vorwürfen oder Vorfällen kommt. Ich erlebe uns dann immer noch als gehemmt, handlungsunfähig und befangen.
Wie antworten wir auf die Frage: „Habt ihr alles getan, dass so etwas nicht passieren kann?“ Schutzkonzepte, Schulungen und Krisenpläne helfen dabei.
Alle Vorkehrungen werden nicht verhindern, dass es im kirchlichen Raum weiter zu Anschuldigungen und tatsächlichen Vorfällen kommt. Wir sollten aber alles tun, das zu verhindern und vorbereitet zu sein.
Der Ruf unserer Kirche ist beschädigt durch die berechtigten Vorwürfe Betroffener. Trotzdem entsteht auch ein schiefes Bild, wenn alle, die sich in der Kirche engagieren, unter Generalverdacht gestellt werden und übersehen wird, was in den vergangenen 70 Jahren in Kirchengemeinden und durch sie Gutes getan und von vielen von uns erfahren wurde. So wünsche ich uns einen heilsamen Prozess, in dem wir ganz im paulinischen Sinne „alles prüfen und das Gute behalten“ (Thessalonicher 5,21).

Mit herzlichem Dank für Ihr Interesse grüße ich Sie herzlich
Ihr 
Superintendent Christian Cordes


Bitte an Betroffene, sich zu melden:
Die evangelischen Kirchen bitten Betroffene, die sexualisierter Gewalt in evangelischer Kirche und Diakonie erlitten haben, sich bei einer nichtkirchlichen oder kirchlichen Anlaufstelle zu melden. Das bundesweite „Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch“ ist unter Telefon 0800 2255530 oder auf https://www.hilfe-portal-missbrauch.de erreichbar; Kontakte der kirchlichen Stellen sind auf der Seite praevention.landeskirche-hannovers.de aufgeführt.
Eine gut lesbare Zusammenfassung der Ergebnisse und Empfehlungen der ForuM-Studie steht auf https://www.forum-studie.de zum Download zur Verfügung.
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