Zum Nachlesen: Trialog-Predigt: "Suchet der Stadt Bestes"

Mon, 13 Sep 2021 08:18:08 +0000 von Andreas Heincke

Trialogpredigt zu „Suchet der Stadt Bestes“ (Jeremia 29,7)

Sup. Christian Cordes: Liebe Gemeinde, wir drei wollen Ihnen heute eine Predigt halten, also den Versuch einer Bibelauslegung in unsere Zeit zu dritt wagen. Das haben wir noch nie gemacht: ein Gespräch unter Pastoren, das vielleicht Sie zu weiterem Nachdenken anregt. Das Thema haben wir uns gesucht, passend zu diesem Anlass: Wir feiern, dass die drei Kirchengemeinden der Stadt Bleckede sich zusammengeschlossen haben, um als Christen in der Stadt und ihren Dörfern gut aufgestellt in die Zukunft gehen zu können. So sprach uns ein uralter Satz aus dem Buch des Propheten Jeremia an, geschrieben um das Jahr 600 vor Christus herum:

Suchet der Stadt Bestes […] und betet für sie.

Die Aufforderung – oder ist es ein Rat des Propheten – entstammt einem Brief aus dem zerstörten Jerusalem, geschrieben an die verschleppten Israeliten in der Babylonischen Gefangenschaft.

By the rivers of Babylon“ – die Älteren unter uns werden das Lied von Boney M noch kennen. Das vertonte einen biblischen Text, der auch in diese Situation gehört: „An den Flüssen Babylons saßen wir und weinten:“ Man sehnte sich nach Jerusalem, der Vergangenheit, der guten alten Zeit, als alles noch in Ordnung war.

P. Frank Eisel: Höre ich diese Worte Jeremias, die zunächst dem Volk Israel gesagt wurden, dann frage ich mich: was hat das eigentlich mit uns zu tun? Wir sind nicht das Israel, das sich über die Volkszugehörigkeit als Einheit definiert … wir vermissen nicht den Tempel in Jerusalem, von dem die Juden glaubten, dass Gott dort wohnt. Aber können wir nicht dies nachempfinden: Eine Sehnsucht nach Vertrautem, nach „den guten alten Zeiten“, so wie es immer war?

Christian Cordes: Ja, der Prophet schreibt: Lebt nicht in einer Gedankenwelt jenseits der Wirklichkeit, in der ihr lebt. Trauert nicht dem Gestern nach, träumt keine unerfüllbaren Träume, die am wahren Leben vorbei gehen. „Baut Häuser,“ schreibt er vor diesem Vers, „und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's auch euch wohl.“

Frank Eisel: Naja, das Wort, das Luther hier mit „Bestes“ wiedergibt, heißt im Hebräischen Shalom. 

P. Michael Dierßen: Was ist eigentlich Shalom? …

Frank Eisel: Wie könnten wir den Satz: „Suchet der Stadt Bestes ….“ eher wiedergeben? Wir könnten sagen: „Sucht den Frieden der Stadt, das Glück, das Wohlergehen der Stadt, in welche ich euch habe wegführen lassen und betet für sie zum Herrn, denn in ihrem Frieden, ihrem Glück, ihrem Wohlergehen wird auch für Euch Frieden, Glück und Wohlergehen sein!“

Michael Dierßen: Ich nehme das gern wortwörtlich. Suchet der Stadt Bestes! 

Ist das nicht eigentlich fein voneinander getrennt? Die Kirche und davon unterschieden Die Stadt. Die Stadtgesellschaft und Ortsgemeinschaften und die Kirchengemeinde?

Nein! Gewiss nicht! Für mich nicht. Gregor Gysi, der gewiss nicht im Verdacht steht, gläubiger Christ zu sein, sagt: Eine Gesellschaft ohne Kirche hat keine Seele! Gesellschaft braucht Kirche – Seel-Sorge.

Christian Cordes: Ich sehe das so: Gott hat Jesus als Seel-Sorger in unsere Welt geschickt, der für alle da ist. Und ihm nachzueifern ist der Auftrag der Kirche, oder sagen wir lieber: der Christinnen und Christen. 

Frank Eisel: Das heißt ja: Zusammenrücken, teilen, da sein, helfen, miteinander leben, einander begegnen, und zwar vorbehaltlos. Das verändert den Blick füreinander, ob in der Gemeinde oder darüber hinaus.

Michael Dierßen: Ich sehe unsere Kirchengemeinde und ihre Glieder – uns als die Bürgerinnen und Bürger von Bleckede, und ihre Ortschaften als eine organisch miteinander verbundene Gemeinschaft. Unabhängig - davon  ob getauft, ausgetreten, sporadischer Gottesdienstbesucher,  Kirchensteuerzahler oder aufrichtiger Muslim. 

Ich höre mit dem Propheten meinen Auftrag als Christ und Mitglied der Evangelischen Kirche -zusammen mit unseren Geschwisterkirchen - als eine Säule für diese Stadt und die Menschen, die hier leben, wohnen und arbeiten. Ich tue das nicht aus mir selbst heraus, sondern weil es dem Wort entspricht, dem ich glaube, dem ich vertraue. Gottes Wort, das mich begeistert. Mein Tun, Handeln und Entscheiden beseelt. Und mich antreibt. 

Frank Eisel: Das, so lese ich heraus, ist „das Beste“ für die Stadt, wie Martin Luther Shalom übersetzt, dass wir füreinander da sind, aufeinander achten, miteinander ringen um gute Wege. Und darum lassen wir uns hier gerne nieder, behalten langen Atem im Bauen und Pflanzen und werden bestimmt sicher wohnen und Früchte ernten, wenn Gott seinen Segen dazu gibt.

Christian Cordes: So sind wir unterwegs in unserer Zeit. Die Gesellschaft verändert sich, die Kirche verändert sich. Und das sollte uns keine Angst machen. Gottes „Fürchtet euch nicht“ zieht sich durch die ganze Bibel, prominent wird es in den Advents- und Weihnachtsgeschichten angestimmt. Ich finde, das ist kein Opium für das Volk. Paulus nennt es „Kraft Gottes“, griechisch dynamis theou. Und wenn ich auf Jesus, den großen Seel-Sorger schaue, dann tröstet er, wo ich Verluste beklage, macht Mut, wo ich mich sorge, eröffnet er Horizonte wo ich eng und ängstlich bin. Ja, er gibt mir auch manchmal einen Schub, wenn ich träge bin.

„Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen“. Dieser Satz von Johannes dem Täufer wird im Evangelium überliefert. Er gilt auch für die Kirche. In unserer Gesellschaft werden wir kleiner, weil Kirchenmitgliedschaft immer weniger Menschen etwas wert ist. Wir werden schlanker werden, weil wir uns weniger leisten können an Gebäuden, bezahlten Mitarbeitern usw. Ich glaube, wir sollten uns auch weniger exklusiv verstehen, sondern eher kooperativ. Und so gemeinsam unseren Beitrag suchen für der Stadt Bestes, ihren Shalom, ihr Glück und Wohlergehen.

Amen.
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